Heute war es also soweit - das große Finale, das große Ankommen, der Zieleinlauf. Nach 124 Tagen Wandern durch die gesamten Alpen von Ost nach West wollte ich mit den letzen knapp 15 km und gut 500 Hm rauf einen Knopf an meine Tour von Wien nach Nizza machen.
Ich hatte nicht gut geschlafen. Obwohl die Unterkunft alles dafür hergab: ein gemütliches Bett, ein sehr nettes Ambiente, genüssliche Ruhe hoch über Nizza in einem Vorort. Aber die Vorfreude und die Gedanken an den Abschluss - und vielleicht auch das Essen und der Wein von abends - ließen mich unruhig schlafen. Ich hatte mir den Wecker früher gestellt, ich wollte zeitig am Strand sein, um den Tag vollends mitzunehmen.
Ein letztes Mal packen, ein letztes Mal alles ordentlich in den Rucksack schachteln, fertig machen und aufbrechen. Diese Gedanken gingen mir schon morgens durch den Kopf. Klar - so etwas geht nicht spurlos an einem vorbei!
Um 7e startete ich in erstaunlicher 'Dunkelheit'. Es war tatsächlich noch nicht richtig hell, die Straßenbeleuchtung war sogar noch an. Ist aber auch schon Oktober, da sind die Tage kürzer und die Nächte länger.
Ich durfte die ersten 3,5 km den gleichen Weg hinunter, wie ich gestern hinauf in den Vorort bin. Zumindest wollte ich das, aber leider war das Einfahrtstor zum Friedhof verschlossen. Also musste ich mir spontan einen alternativen Weg suchen - was natürlich kein Problem war. Es ging an der Straße entlang in Richtung der Ortschaft L'Ariane hinab. Die Ortschaft an sich war nicht sehr vertrauenserweckend, der Zustand der Häuser und allgemein der Straßen und Grünanlagen war (muss ich echt sagen ) erbärmlich. Kein Ort, an dem ich wohnen wollte. Zum Glück musste ich ja nur einmal hindurch wandern.
Ich überquerte wieder den Fluss Paillon und die Tendabahn, bevor es unterhalb einer riesigen, bestimmt an die 50 m hohen Autobahnbrücke (der Autobahn A8 von Genua nach Nizza) in meinen letzten Aufstieg überging. Erst auf der Hauptstraße, dann einer Nebenstraße wechselte ich am Widerlager der Brücke in den Wald. Und innerhalb diesem hatte ich plötzlich einen Blick auf die Brücke - ich war also schon ordentlich nach oben gekommen. Im Wald selbst war es dann ein wahnsinnig steiler Wanderweg, der mich ordentlich ins Schwitzen brachte. Aber, hey, das konnte mir nun egal sein. Einmal für den Zieleinlauf noch Schwitzen, ein letztes Mal Gas geben beim bergauf Gehen, nochmal alles raushauen - ab morgen darf ich entspannen, und nicht nur für einen Tag.
Nach dem sehr steilen Weg folgte ein gemächlicher Anstieg über eine asphaltierte Straße, die hier mehrerer Grundstücke erschloss. Es war nichts los, und nach dem ersten langen Stück könnte ich auf eine Schotterstraße wechseln. Diese war Teil eines Naturparks, der sich im oberen Bereich des Berges ("Hügels"?) befand, den ich in Richtung Meer überschreiten musste. Die Straße hatte wenig Steigung und ging überhalb des Paillon-Tales durch eine Steinmauer gestützt am Hang entlang. War toll zu gehen, schöne Ausblicke auf die Berge, aus denen ich die letzten Tage gekommen war. Somit ein toller Rückblick, schlussendlich ein letzter Blick auf die Alpen....
Kurz vor dem 'Gipfel' (immerhin auch noch 577 m über dem Meer) kam dann zum ersten Mal die Sonne richtig raus. Ich freute mich so unglaublich darüber. Ich hatte echt Angst gehabt, dass das Ende der Reise so schließen würde, wie sie angefangen hatte: mit Regen. Ich wäre tottraurig gewesen. Aber nein, dieses Mal hatte der Wettergott Erbarmen mit mir, heute sollte ich belohnt werden für all die Strapazen und mein Durchhaltevermögen. Ich sog die Wärme in mir auf. Und lief weiter. Bis zu dem Punkt, an dem ich zum ersten Mal das Dorf "Beaulieu-sur-Mer" erblicken konnte. Und das große Mittelmeer, dass sich nun in seiner Gesamtheit vor mir erstreckte. Strahlend, glitzernd, tiefblau. Wow! Wie schön! Da will ich hinunter. Nicht mehr weit. Und der Blick auf die Karte verriet: da waren keine Höhenmeter mehr zu erklimmen. Nur noch runter. Wahnsinn! Ich hatte tatsächlich alle Höhenmeter rauf geschafft. Glückwunsch!
Der Abstieg war dann wenig spektakulär: erst über einen sehr kleinen, nur in mäßigem Zustand befindlichen Pfad bis zu den ersten Häusern, dann ganz viele Treppen durchs Dorf, später eine Straße weiter hinab. Und zu guter letzt - ich rechnete nur noch mit einem einfachen Wegstück - durften enge, sehr steile Treppenstufen bewältigt werden. Upsi, doch nach etwas Anspruch ganz am Ende. Musste mich konzentrieren. Dabei aber immer der Blick in Richtung Yachthafen und Strand, an dem ich in nicht mal einer halben Stunde meine Wanderung abschließen wollte....
Die letzten Meter durch die Ortschaft und am Yachthafen entlang (reichte mein Reise-Budget noch für eine 25 m Yacht, die hier zum Verkauf standen, sorry, lagen???) musste ich mir bewusst machen, was dies nun heißt: Letzte Meter, letzte Schritte, kein Wandertag mehr, Schluss - aus - finito!
Ich erreichte den Strand bei strahlendem Sonnenschein. Wie schön das war. Klares Wasser, die Wellen, die angelaufen kamen und das typische Meeresrauschen hervorriefen. Kaum etwas los. Ich blieb stehen, mittendrin, nahe am Rand des Meeres, schaute hinaus aufs Wasser und die glitzernde Sonne. Und, wie erwartet, kam das Pipi in die Augen. Ich war da. Ich war am Ziel angekommen und hatte es geschafft. Wie geil ist das denn???
Ich hatte in 125 Tagen insgesamt 1.870 km zurück gelegt, dabei 15 Pausen-, Schlechtwetter- oder Transfertage gemacht Auch 93.430 Hm rauf konnten mich nicht vom Ziel abhalten - und die teilweise widrigen Umstände schon gleich gar nicht. Die 93.240 Hm runter brachten mich dem Ziel schon eher näher.
Ich stand am Wasser, ein paar Tränen kullerten, und nach gefühlt einer Ewigkeit (was sich wohl die anderen Badegäste dachte) setzte ich doch endlich den Rucksack ab und mich hin. Geschafft. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Sehr viel später - ich hatte es immer noch nicht wirklich erfasst - zog ich mich bis auf die Unterhose aus, positionierte das Handy und machte genau das, was ich mir fest vorgenommen hatte: ins Mittelmeer rennen, und das Bad meines Lebens nehmen. Okay, meines Lebens ist vielleicht etwas übertrieben, aber das Bad nehmen, das ich mir mehr als verdient hatte. Nicht erschrecken - und nicht hinterfragen. Einfach versuchen nachzuvollziehen, wie es ist, nach so langer Zeit und der Strecke das erleben zu dürfen.
Der Nachmittag bestand dann aus einigen Telefonaten, dem Einstellen eines passenden WhatsApp-Status und vielen Chats...
An dieser Stelle vielen lieben Dank an alle, die sich bei mir gemeldet und mir Glückwünsche übermittelt haben. Und ja - ich war stolz (und bin es immer noch).
Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ging es dann noch nach Nizza in die Innenstadt (wo auch mein Hotel ist) und abends zum Essen. Ich war echt völlig fertig - körperlich. Und mental sowieso. Was für dein Tag, was für ein Finish! Jetzt noch zwei Tage Nizza erleben und Freitag/Samstag zurück nach Stuttgart.
Mit diesem (vor-)letzten Eintrag schließe ich meinen Blog, der mich die gesamte Zeit über begleitet hat. Ich danke allen, die eifrig (oder auch nicht so eifrig) dabei waren. Ein letzter Eintrag folgt noch, wobei es darin um meinen Dank an alle Beteiligte geht. Ist mir aber ein Anliegen und wichtig für mich!
Macht es gut, ich freue mich, den einen oder anderen von euch persönlich zu sehen, und auf mein Zuhause, mein (nicht mehr so sehr) gewohntes Umfeld und auf die neuen alten Herausforderungen!
Schließen möchte ich meine Reiseberichte mit einem Zitat, das ich am 13. Juli 2024 am Gipfel des Sambock (2.396 mNN) gelesen habe:
"Große, stille Lehrmeister sind die Berge. Wer sie zu verstehen lernt, findet dort oben nie gekannte Erfüllung. Wer aber ihre Sprache nicht versteht, für den bleiben sie immer und ewig aus Stein."
(Dalai Lama)
Macht es gut!
Vielen Dank!
Euer Knut aka Hausmeister Gru
Was für ein schönes Zitat!
Wahnsinn!!! Herzlichen Glückwunsch zum erreichten Ziel!
Gratulation zum erfolgreichen Abschluß Deiner Wanderung! 🥳 🎉
Vier Monate unterwegs und wir waren alle ein bißchen dabei... ☺️
Am Montag noch nicht zu viel im Büro erzählen!